Seit 2009 stellt der Arbeitskreis Jugendliteratur (AKJ) Praxiskonzepte zu einer Auswahl der nominierten Bücher des Deutschen Jugendliteraturpreises zur Verfügung. Die Dateien stehen für alle Interessierten, die Kinder und Jugendliche für das Lesen begeistern möchten, auf der AKJ-Website kostenlos als Download bereit.
Katja Eder und Bettina Huhn gehören von Anfang an zum Expertenteam, das die Ideen und Ansätze entwickelt und in eintägigen Kompaktseminaren an Fachkräfte aus Kita, Schule, Bibliotheken und Buchhandel weitergibt.
„Das Bilderbuch hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt und wird jetzt stärker wahrgenommen“, sagt Katja Eder, die dieses Segment betreut. Während es in Frankreich schon immer eine „andere Haltung zum Bild“ gab – was sich zum Beispiel auch in der Akzeptanz von Comics zeigt – war das Bilderbuch in Deutschland lange nicht so etabliert. „Heute decken Bilderbücher ein sehr breites Spektrum ab, bewegen sich auf einem sehr hohen Niveau und sind nah an den Themen der Zeit.“
Bettina Huhn spricht mit dem Kinderbuch eine Altersgruppe von 5 bis 13 Jahren an. „Leseförderung fängt mit Buchgewöhnung an.“ So beschreibt sie die Herausforderung, ein Buch so spannend zu inszenieren, dass sich Kinder entgegen ihrer Sehgewohnheiten auf die Bilder und die „Langsamkeit“ von Büchern einlassen können.
Nach der Nominierung auf der Leipziger Buchmesse lesen Sie im Team alle 30 Titel, um dann Konzepte für etwa 15 Bücher erstellen. Wie kommt die Auswahl zustande?
Bettina Huhn: Das ist jedes Jahr eine spannende Aufgabe, vor allem bei den Kinderbüchern, weil wir hier eine große Altersspanne abdecken. Zudem teilen wir auch die Sachbücher untereinander auf und möchten einen runden und aktuellen Themenmix abbilden. Das macht die Auswahl nicht leicht, aber die Beschränkung auf vier bis sechs Titel pro Workshop macht durchaus Sinn. Es ist schon eine Herausforderung, diese in 2,5 Stunden zu vermitteln.
Wie gehen Sie vor, wenn die Bücher feststehen? Kommen Ihnen schon beim Lesen die ersten Ideen?
Katja Eder: Gerade bei Bilderbüchern schaue ich mir die Bildkonzeption und die Bildsprache an. Die Umsetzungsansätze ergeben sich meist aus der Ästhetik, die als künstlerisches Mittel den Inhalt transportiert. Welche Perspektiven nutzen die Künstler*innen? Spielen bestimmte Orte eine Rolle? Wie sind die Bilder aufgebaut? Was ist das Besondere? Wie ist die Sprache? Ich suche nach Aspekten, die für die Kinder spannend sein können, wie zum Beispiel der Rhythmus der Geschichte.
Offenheit und Neugierde sind wichtig beim Lesen, um eine Beziehung zum Buch aufzubauen. Aber nicht immer springt der Funke sofort über (sie lacht). Bei Es gibt keine Drachen in diesem Buch war mein erster Gedanke: „Das passt irgendwie nicht.“ Man muss die Buchidee entdecken und dann kommen die ersten Ansätze von selbst. In diesem Fall habe ich mich dem Raum, der Wohnung genähert und bin so auf die Frage gekommen: „Wo möchte ich einem Drachen begegnen?“
Bettina Huhn: Ich schaue auch immer, was mir das Buch anbietet. Manchmal spricht mich sofort das Thema an oder fällt eine Figur oder Form ins Auge. In Bei Pepe und der Oktopus auf der Flucht vor der Müllmafia reisen die Protagonisten durch verschiedene Länder. Es lag also nahe, ein Länderquiz zu entwickeln. Da es mir wichtig ist, immer auch Anreize zu schaffen, ein Buch ganz zu lesen, kann man das Quiz erst lösen, wenn man die ganze Geschichte kennt.
Die Kernfrage ist sicherlich, wie man Kinder und Jugendliche für Bücher begeistern kann – gerade im Wettbewerb mit anderen Medien und bei kurzen Aufmerksamkeitsspannen. Welche Methoden wenden Sie an?
Bettin Huhn: Wir müssen die Aufmerksamkeit immer wieder neu wecken und brauchen dafür passgenaue Aktionen. Das Wichtigste ist aber, dass jede*r etwas fühlt oder nachempfindet, sei es durch Identifikation mit einer Person oder das Erleben einer Situation. Deshalb frage ich mich immer, wie man das Thema transportieren kann. Im Buch Wolf geht es um Mobbing, ein sehr emotionales Thema. Wie kann ich Kindern dieses Gefühl vermitteln und ihnen zeitgleich einen Schutzraum bieten? So kam ich auf die Idee, mit Masken zu arbeiten.
Katja Eder: In meinen Workshops spreche ich gern von „innerer Beteiligung“. Jede*r soll etwas mitnehmen, was mit dem Buch zu tun hat, sei es thematisch oder ästhetisch. Das kann im Gespräch geschehen, aber auch beim Malen oder Basteln. Und es muss nicht in engerem Sinne etwas mit mir als Person zu tun haben, aber es muss mich in irgendeiner Weise berühren. Besonders intensiv wird die Wirkung von Literatur, wenn die Methode wieder zum Buch zurückführt.
Welche Tipps können Sie Buchhändler*innen noch mit auf den Weg geben?
Katja Eder: Ich steige gern mit Beteiligung ein, zum Beispiel mit Bewegung oder Interaktion. Und ich lese nur kleine Ausschnitte von 2 bis maximal 5 Minuten vor. Nicht alles zu verraten, ist natürlich auch eine Methode, um Lust auf das Buch zu machen. Schließlich soll das Buch noch gelesen werden. Und wenn Kinder dabei sind, die noch nicht sicher im Lesen sind, ist es wichtig, sie vorzuentlasten, d. h. die Inhalte auch anders anzubieten, damit sie auch mitmachen können.
Bettina Huhn: Die Wechselwirkung zwischen Gruppe und Buch ist immens wichtig. Wenn ich eine Gruppe mit 5-/6-Jährigen habe, arbeite ich gerne szenisch. Als Theaterpädagogin sehe ich hier eine große Spielwiese. Mit der Vorpubertät ab der 3./4. Klasse wird es schwieriger. Die Kinder wollen sich weniger zeigen. Da hilft es Medien einzusetzen, z. B. Musik, Film (Stopp Motion), oder mit Sprachaufnahmen zu arbeiten. Die Gruppen sind heute oft sehr heterogen, manche Kinder sind den anderen gedanklich um zwei bis drei Jahre voraus. Die Frustrationstoleranz ist oft nicht so ausgeprägt – in beide Richtungen. Gerade bei unbekannten Gruppen ist es daher wichtig, durch unterschiedliche Methoden für Abwechslung zu sorgen, so dass für jede*n etwas dabei ist.
Worauf können sich die Buchhändler*innen in Ihren Workshops freuen?
Katja Eder: Mir ist es vor allem wichtig, Ideen und Formate vorzustellen, die schnell und einfach umsetzbar sind – also praxistauglich.
Bettina Huhn: Das kann ich nur bestätigen: Wir bieten einen Ideenpool an, aus dem man sich einfach bedienen kann. Je nach Zielgruppe und Zeitumfang lassen sich die Ansätze kombinieren und erweitern. Nicht alle Ideen können wir in den Workshops vorstellen, aber der AKJ stellt sie auf seiner Website allen Interessierten kostenlos zum Download zur Verfügung.
Viele Teilnehmende haben das Seminar schon mehrfach besucht, nicht nur wegen der Methoden, sondern auch weil sie den interdisziplinären Austausch untereinander sehr schätzen. Es nehmen Kita-Erzieher*innen, Pädagog*innen aus Grund- und weiterführender Schulen und Bibliothekar*innen teil. Und demnächst hoffentlich noch mehr Buchhändler*innen!